Die Erwähnung von Makeln und Mängeln eines bestimmten Muslims oder eines Dhimmî [nichtmuslimischer Bürger in einem islamischen Staat] in seiner Abwesenheit mit der Absicht, ihn schlechtzumachen, wird „Ghîba“ (üble Nachrede) genannt. [Wenn die Worte, mit denen schlechtgemacht wird, wahr sind, ist dies üble Nachrede. Sind sie eine Lüge, ist dies Verleumdung (Iftirâ). So, wie die üble Nachrede und die Verleumdung große Sünden sind, so ist es auch harâm, diesen Gehör zu schenken. Sowohl derjenige, der sie ausspricht, als auch derjenige, der ihnen Gehör schenkt, werden im Höllenfeuer brennen. Denjenigen, der so spricht, soll man davon abhalten und wenn das einem nicht mög- lich ist, soll man den Ort des Geschehens verlassen. Für diese Menschen sollte man gute Duâ machen. Die Namen von Freun- den, geliebten Menschen sollten an Wänden angebracht werden und bei ihrer Betrachtung sollte jedes Mal eine gute Duâ für die Namensträger gemacht werden. Gräber werden mit Grabsteinen geschmückt und die Namen der Verstorbenen auf diese geschrieben wer an diesen vorbeikommt, diese sieht, bittet um Barmherzigkeit und Vergebung für den Verstorbenen. Die Verstorbenen, die jahrelang solche Duâ erhalten, werden vor dem Leiden im Grab errettet.] Die üble Nachrede ist harâm. Wenn derjenige, der Gehör schenkt, die betroffene Person nicht kennt, ist dies keine üble Nachrede. Wer der üblen Nachrede ausgesetzt ist, wäre betrübt, wenn er diese vernimmt. Wenn über einen Mangel oder Ma- kel an seinem Körper, in seiner Abstammung, seinem Charakter, seiner Arbeit, seiner Rede, seiner Religion, seinen weltlichen Angelegenheiten, sogar an seiner Kleidung, seinem Heim oder seinen
Tieren in seiner Abwesenheit gesprochen wird und er wäre hierüber betrübt, wenn er das hören würde, dann ist dies üble Nachre- de. Auch Andeutungen mit Worten oder mit Gesten oder das Schreiben über diese Sachen sind, so wie das gesprochene Wort auch, üble Nachrede. Es ist die schlimmste Art der üblen Nachrede, wenn die Sünden oder Fehler eines Muslims erwähnt werden und wenn darauf Gelehrte: „Alhamdulillah, wir sind nicht so“, bemerken würden. Üble Nachrede hässlichster Art ist es auch, wenn über jemanden gesprochen wird, ihn mit Worten wie: „Alhamdulillah, Allah hat uns nicht unverschämt sein lassen“, schlechtzumachen. Auch zu sagen: „Soundso ist ein sehr guter Mensch. Hätte er bloß nicht jenen Fehler in seiner Ibâda, wäre er noch besser“, ist üble Nachrede.
In Vers 12 der Sure „al-Hudschurât“ gebietet Allah, der Erhabene, sinngemäß: „Zieht nicht übereinander her mit Ghîba!“ Üble Nachrede bedeutet, über jemanden herzuziehen, ihn schlechtzumachen. Es wurde verkündet, dass die üble Nachre- de wie der Verzehr von totem Menschenfleisch ist.
In einem ehrwürdigen Hadith heißt es sinngemäß:
„Am Tag des Gerichts wer- den die Seiten der Belohnungen eines Menschen in seinem Buch geöffnet. Er wird sagen: ‚O mein Herr! In der Dunyâ hatte ich jene Ibâdât verrichtet, sie sind hier nicht aufgezeichnet‘, und ihm wird gesagt werden: ‚Sie wurden aus deinem Buch gelöscht und in die Bücher derer eingetragen, über die du üble Nachrede betrieben hast‘.“
Und sinngemäß:
„Am Tag des Gerichts wird das Buch der guten Taten eines Menschen geöffnet. Er wird Ibâdât darin sehen, die er nicht verrichtet hatte. Ihm wird gesagt werden: ‚Das sind die Belohnungen derer, die üble Nachrede über dich betrieben haben.’“
Abû Hurayra, möge Allah mit ihm zufrieden sein, berichtet:
„Wir saßen mit dem Gesandten Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden schenken. Einer von uns stand auf und ging weg. Es wurde gesagt: ‚O Gesandter Allahs! Er ging, weil er sich belästigt fühlte‘, und er antwortete sinngemäß: ‚Ihr habt übel über eu-ren Freund gesprochen, habt von seinem Fleisch gegessen.’“
Die edle Âischa, möge Allah mit ihr zufrieden sein, berichtet sinngemäß:
„Einmal erwähnte ich in der Gegenwart des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden schenken, dass eine be- stimmte Frau großgewachsen sei, und er sagte: ‚Nimm raus, was du da im Munde hast!‘ Ich spuckte aus und ein Stück Fleisch kam aus meinem Mund.“
Allah, der Erhabene, vermag Eigenschaften und Besonderheiten in materieller Form manifestieren zu lassen. Üble Nachrede ist, in Abwesenheit eines muslimischen Bruders oder eines Dhimmî einen seiner Mängel zu erwähnen, worüber er betrübt wäre, wenn er dies hörte. Allah, der Erhabene, offenbarte Mûsâ, Friede sei mit ihm, sinngemäß: „Wer üble Nachrede betreibt und sich dann mit Reue davon abwendet, wird als letzter in das Para- dies einziehen. Wer üble Nachrede betreibt und sich nicht mit Reue davon abwendet, wird als erster in die Hölle einkehren.“
Ibrâhîm ibn Adham, möge Allah mit ihm barmherzig sein, wurde zu einem Essen eingeladen. Als bei Tisch erwähnt wurde, dass eine bestimmte eingeladene Person nicht anwesend war, wurde gesagt: „Er ist eine langsame Person.“ Ibrâhîm ibn Adham, möge Allah mit ihm barmherzig sein, sagte, dies sei üble Nachrede und stand auf und ging.
In einem ehrwürdigen Hadith heißt es sinngemäß:
„Wenn der Mangel, der über jemanden gesagt wird, bei ihm tatsächlich vorhanden ist, ist dies üble Nachrede. Ist er nicht vorhanden, so ist dies eine Unterstellung, also eine Verleumdung.“
Es ist üble Nachrede, die Mängel von jemandem in religiösen Angelegenheiten zu erwähnen, so z.B. zu sagen, er verrichte das Gebet nicht oder er trinke Alkohol oder er stehle oder er gebe Gerede unter Muslimen weiter, ebenso seine Mängel in weltlichen Angelegenheiten zu erwähnen, wie z.B. zu sagen, er sei taub oder er schiele. Wenn die Mängel in religiösen Angelegenheiten erwähnt werden, um ihn schlechtzumachen, wäre dies üble Nachrede. Wenn aber seine Besserung dabei beabsichtigt wird, ist es keine üble Nachrede. Es wurde auch gesagt, dass wenn diese Dinge aus Mitleid erwähnt werden, es keine üble Nachrede ist. Zu sagen: „In diesem Dorf oder in dieser Stadt gibt es jemanden, der das Gebet nicht verrichtet“ oder „…einen Kommunisten“ oder „…einen Dieb“, ist keine üble Nachrede, denn es wird keine bestimmte Person benannt.
Jemand mag das Gebet verrichten, das Fasten einhalten, aber gleichzeitig den Menschen durch seine Hand schaden, sie z.B. schlagen oder ihren Besitz an sich reißen oder sie bestehlen. Oder er schadet ihnen durch seine Worte, beschimpft sie beispielsweise oder verleumdet sie oder zieht mit übler Nachrede über sie her oder gibt Gerede unter Muslimen weiter. Das offenkundige Bege- hen von Sünden, Mahârim und Bid’ât zu erwähnen, ist keine üble Nachrede. Es ist keine Sünde, wenn jemand diese Sachen der Regierung meldet, damit diesen Einhalt geboten wird. Wenn jemand Zeuge wird, wie der Sohn von jemandem Harâm verrichtet, und er ist sich gewiss, dass der Vater Einhalt gebieten würde, soll er den Vater hierüber in Wort oder Schrift in Kenntnis setzen. Wenn nicht sicher ist, ob der Vater dem Sohn Einhalt gebieten wird, ist es nicht dschâiz, ihn in Kenntnis zu setzen, da dies zu Feindseligkeiten zwischen ihnen führen würde. Die schädlichen Eigenschaf- ten von jemandem aus Mitleid zu erwähnen oder um andere vor seinem Schaden zu bewahren, ist keine üble Nachrede. Werden diese jedoch mit der Absicht erwähnt, ihn schlechtzumachen, über ihn herzuziehen, ist es üble Nachrede. In sechs Fällen ist die Erwähnung von Mängeln und Makeln einer Person in seiner Abwesenheit keine üble Nachrede: aus Mitleid ihm gegenüber; damit ihm Einhalt geboten werden kann; um in der jeweiligen Sache eine Fatwa einzuholen; um die Muslime vor seinem Übel zu bewahren; wenn der jeweilige Mangel bei einer Person schon zu einem Rufnamen geworden ist und dieser Name unbedingt erwähnt werden muss, um klarzustellen, um wen es geht; und wenn Sünden, Bid’ât und Ungerechtigkeit, die offenkundig sind und von jedermann gewusst werden, erwähnt werden. Was aber hiervon aus Verärgerung, mit der Absicht, jemanden schlechtzumachen gesagt wird, ist üble Nachrede. Den Mangel einer Ware, die gerade verkauft wird, dem Kunden mitzuteilen, ist keine üble Nachrede dem Verkäufer gegenüber. Einem Mann, der eine Frau heiraten will, die Mängel, die Fehler seiner zukünftigen Frau mitzuteilen, ist keine üble Nachrede, sondern guter Rat (Nasîha). Es ist wâdschib, dem, der nicht über etwas Bescheid weiß, guten Rat zu geben. Es ist üble Nachrede, die nicht offen bekannten Makel einer Person, die öffentlich Harâm verrichtet und Unrecht zufügt, zu erwähnen.
In einem ehrwürdigen Hadith heißt es sinngemäß:
„Über den zu sprechen, der den Umhang (Dschilbâb) der Scham ablegt, ist keine üble Nachrede.“
Dschilbâb ist das weite Kopftuch von Frauen. Was hier mit „den Umhang der Scham ablegen“ gemeint ist, ist die öffentliche Verrichtung von Harâm. Der ehrwürdige Hadith ist ein Hinweis darauf, dass eine solche Person keine Scham kennt. Imâm al-Ghazâlî und einige andere Gelehrte, möge Allah mit ihnen barmherzig sein, haben gesagt, dass die Absicht, jemanden schlechtzumachen, weder bei der Erwähnung von Personen, die öffentlich Sünden begehen, noch bei der Erwähnung von Mängeln anderer eine Bedingung ist, damit solche Rede als üble Nachrede gilt. Daher sollte man sich vor übler Nachrede sehr in Acht nehmen.
Es gibt viele Gründe, die den Menschen dazu verleiten, üble Nachrede zu betreiben. Hier seien elf davon erwähnt: Feindschaft einer Person gegenüber; die Überzeugung, mit den Anwesenden in einer Runde einer Meinung sein zu müssen; jemanden, der nicht beliebt ist, schlechtmachen zu wollen; verkünden zu wollen, das man selbst nicht die gleiche Sünde begeht; verkünden zu wollen, dass man dem anderen überlegen ist; Neid; die Anwesenden in ei- ner Runde erheitern wollen, miteinander scherzen oder denjenigen verspotten wollen; Erstaunen darüber auszudrücken, dass jemand, von dem man es nicht erwartet hätte, Harâm verrichtet hat; zu verkünden, dass man über solche Tat betrübt sei; oder dass man deswegen Mitleid mit dieser Person habe; oder zu verkünden, dass man jemanden wegen dem Harâm, das er verrichtete, nicht mag. Die üble Nachrede führt dazu, dass die Belohnungen (Sawâb) dieser Person schwinden und ihr die Sünden des anderen aufgeladen werden. Hieran stets zu denken, hält den Menschen davon ab, üble Nachrede zu betreiben.
Die üble Nachrede ist dreierlei Art:
Die erste Art ist, zu sagen: „Ich habe keine üble Nachrede betrieben, ich habe nur gesagt, was auf ihn tatsächlich zutrifft.“ Diese Aussage ist Kufr, denn es ist die Halâl-Sprechung von etwas, das harâm ist.
Die zweite Art ist, denjenigen, über den die üble Nachrede gesprochen wird, diese vernehmen zu lassen. Dies ist eine große Sünde, die nicht durch Reue allein vergeben wird. Zusätzlich muss man in diesem Fall die betroffene Person um Verzeihung bitten, seine Vergebung ersuchen.
Die dritte Art ist, dass die betroffene Person nichts darüber erfährt. In diesem Fall ist die Bedingung für eine Vergebung, Tawba und Istighfâr und gute Duâ für den Betroffenen zu machen.
Wer mitbekommt, dass in seiner Anwesenheit üble Nachrede betrieben wird, soll dem sofort Einhalt gebieten. In einem ehrwür- digen Hadith heißt es sinngemäß:
„Wer seinem muslimischen Bruder ohne sein Wissen hilft, dem hilft Allah, der Erhabene, im Diesseits und im Jenseits.“
Und sinngemäß:
„Wenn jemand, in dessen Gegenwart üble Nachrede über einen muslimischen Bruder gesprochen wird, diesem nicht hilft, obwohl er dazu in der Lage ist, wird ihn diese Sünde im Diesseits und im Jenseits einholen.“
Und sinngemäß:
„Wenn jemand im Diesseits die Ehre seines muslimi- schen Bruders schützt, schickt Allah, der Erhabene, ihm einen En- gel, der ihn vor dem Leid in der Hölle schützt.“
Und sinngemäß:
„Wenn jemand etwas von der Ehre seines muslimischen Bruders schützt, schützt Allah, der Erhabene, ihn vor dem Leid in der Hölle.“
Derjenige, in dessen Gegenwart üble Nachrede gesprochen wird, beteiligt sich an dieser Sünde, wenn er nicht mit Worten Einhalt gebietet, sofern er nichts zu befürchten hat oder, wenn es Grund zur Angst gibt, nicht wenigstens in seinem Herzen die Tat ablehnt. Wenn es möglich ist, dass er die üble Nachrede unterbinden oder weggehen kann, muss er dies tun. Es reicht nicht, dass er versucht, mit Gesten, also mit den Händen, dem Kopf oder den Augen die üble Nachrede zu verbieten. Er muss offenkundig zum Schweigen darüber auffordern.
Die Wiedergutmachung für die üble Nachrede ist, darüber betrübt zu sein, Reue zu empfinden und den Betroffenen um Verzeihung zu bitten. Um Verzeihung zu bitten, ohne zu bereuen, ist Riyâ und eine weitere Sünde. [Dass die üble Nachrede über Ver- storbene oder Nichtmuslime, die Dhimmî sind, verboten ist, steht auf Seite 263 im 5. Band des Ibn Âbidîn.]
Wenn Allah dies so will, räumt ein jeder für dich den Weg,
Er erschafft für dich die Anlässe und gibt dir von allen Dingen reichlich.