Einer der größten Gelehrten des Islam, die Indien hervorgebracht hat, Scharafuddîn Ahmed ibn Yahyâ Munirî, möge Allah mit ihm barmherzig sein, sagt in seinem auf Persisch verfassten Buch „Maktûbât“, „Briefe“, im 76. Brief:
„‚Sa‘âda‘, ‚Glückseligkeit‘, bedeutet, für das Paradies bestimmt zu sein. ‚Schaqâwa‘, ‚Auflehnung‘, heißt für die Hölle bestimmt zu sein. Glückseligkeit und Auflehnung sind wie zwei Schätze Allahs, des Erhabenen. Der Schlüssel zum ersten ist der Gehorsam und die Verrichtung der Anbetungen. Der Schlüssel zum zweiten ist Rebellion und das Begehen von Sünden. Allah, der Erhabene, wusste in der Vor-Zeit um jeden Menschen, der glücklich sein würde, und um jeden Menschen, der rebellisch sein würde. Dieses Wissen wird ‚Qadar‘, ‚Bestimmung‘, genannt. [Man sagt ja z. B.: ‚Es steht geschrieben‘.] Diejenigen, von denen Allah, der Erhabene, in der Vor-Zeit wusste, dass sie glücklich sein würden, die sind (auf der Welt) Allah, dem Erhabenen, gegenüber gehorsam. Diejenigen, von denen Allah, der Erhabene, in der Vor-Zeit wusste, dass sie rebellisch sein würden, die begehen (in der Welt) ständig Sünden. Jeder in dieser Welt kann von seinen eigenen Taten her wissen, ob er ein Glücklicher oder ein Rebell ist. Die Gelehrten des Islam, die das Jenseits im Blick haben, verstehen auf diese Weise, wer einer der Glücklichen und wer einer der Rebellen ist. Die Gelehrten, die der diesseitigen Welt verfallen sind, können dies jedoch nicht verstehen. Jede Würde und jeder Segen liegt darin, Allah, den Erhabenen, mit Ikhlâs, Aufrichtigkeit, gehorsam zu sein und Ihn anzubeten. Alles Schlechte und jede Bedrängnis wiederum resultiert aus dem Begehen von Sünden. Sorgen und Unglück ereilen die Menschen nur aufgrund ihrer Sünden. Ruhe und Frieden wiederum erwachsen aus dem Grund des Gehorsams. [Derart ist die Art Allahs, des Erhabenen. Niemand kann das ändern. Man darf nicht denken, dass die Sachen, die der Triebseele leichtfallen und die ihm gefällig sind, Glück seien. Ebenso darf man nicht denken, dass die Sachen, die der Triebseele schwerfallen und ihm missfallen, Unglück und Übel seien.] Ein Mensch, der sein Leben damit verbrachte, in der al-Aqsâ Moschee in Jerusalem jahrelang Lobpreis und Anbetungen zu verrichten, erlitt dadurch, dass er das Erlernen der Regeln einer Anbetung und Ikhlâs, die Aufrichtigkeit darin vernachlässigte und einmal eine Niederwerfung im Gebet vergaß, solch einen Schaden, dass er daran zugrunde ging. Doch der Hund der Ashâbu Kachf (die Siebenschläfer) wurde, obwohl er unrein war (gemäß einigen Rechtsschulen ist ein Hund unrein), dadurch, dass er ein paar Schritte mit den Siddîqûn, den Getreuen, ging, derart erhöht, dass er nie wieder herabfiel. Solche Sachen versetzen den Menschen in Erstaunen. Jahrhundertelang haben die Gelehrten dieses Geheimnis nicht lösen können. Der menschliche Verstand begreift die Weisheit darin nicht. Allah, der Erhabene, befahl Âdam, Friede sei mit ihm, nicht vom Korn zu essen, doch da Er in der Vor-Zeit wusste, dass er davon essen würde, fügte Sein Wille, dass es geschah. Er befahl dem Teufel, sich vor Âdam, Friede sei mit ihm, niederzuwerfen, doch Sein Wille fügte, dass er sich nicht niederwarf. Er sagte: ‚Sucht Mich‘, doch fügt Sein Wille, dass wer nicht aufrichtig ist, Ihn nicht findet. Die Reisenden auf dem Weg Allahs vermochten über diese Sachen nicht mehr zu sagen, als dass es mit dem Verstand nicht zu verstehen ist. Was bleibt uns da noch zu sagen? Er bedarf des Glaubens und der Anbetungen der Menschen nicht. Ihr Unglaube und ihre Sünden schaden Ihm nicht. Er benötigt Seine Geschöpfe in keiner Weise. Er machte das Wissen zum Mittel der Vertreibung der Dunkelheit und die Unwissenheit zum Mittel für Sünden. Wissen bringt Glaube und Gehorsam hervor und Unwissenheit bringt Unglaube und Sünden hervor. Gelegenheit zur Gehorsamkeit, selbst in den kleinen Sachen, sollte man sich nicht entgehen lassen. Und den Sünden, wie klein sie auch scheinen mögen, sollte man sich auf keinen Fall nähern. Die Gelehrten des Islam sagten, dass drei Sachen Gründe für drei Sachen sind: Gehorsam ist der Grund für das Wohlgefallen Allahs, des Erhabenen. Sünden zu begehen ist der Grund für den Zorn Allahs, des Erhabenen. Die Annahme des Glaubens ist der Grund für Ehre und Wertschätzung. Daher muss man sich auch vor den kleinsten Sünden hüten, denn gerade diese eine Sünde könnte Grund für den Zorn Allahs, des Erhabenen, sein. Man muss jeden Mûmin besser als sich selbst erachten. Denn gerade jener Mûmin könnte ein von Allah, dem Erhabenen, sehr geliebter Mensch sein. Die Bestimmung einer Person ändert sich nie. Einem Muslim, der stets Sünden begangen hat und keine gehorsamen Taten vorweisen kann, kann Allah, der Erhabene, vergeben, wenn Er will. Als die Engel, wie in der 30. Âya der Sûre al-Baqara, ‚Die Kuh‘, berichtet wird, sinngemäß sagten: ‚O, unser Herr! Willst du auf Erden jemanden erschaffen, der dort Blut vergießen und Aufruhr stiften wird?‘, antwortete Er nicht: ‚Sie werden keine Aufruhr stiften.‘ Er sagte: ‚Ich weiß, was ihr nicht wisst.‘ Ich mache die Unwürdigen zu Würdigen, die Fernen zu Nahen, und die Niedrigen zu Hohen. Ihr schaut auf ihre Taten, Ich aber schaue auf ihre Herzen. Ihr seht, dass ihr frei von Sünden seid, sie aber suchen Zuflucht in Meiner Barmherzigkeit. So, wie es Mir gefällt, dass ihr frei von Sünden seid, so gefällt es Mir, den Muslimen zu vergeben. Ihr wisst nicht, was Ich weiß. Den Gläubigen lasse Ich Meine vorzeitliche Gunst zuteilwerden und umarme sie alle mit Meiner ewigen Gnade.‘“ Hier endet die Übersetzung aus dem 76. Brief.
Scharafuddîn Ahmed ibn Yahyâ Munîrî starb im Jahre 782 n.H. [1380 n. Chr.], möge Allah mit ihm barmherzig sein. Er lebte in der Stadt Bihar in Indien, wo sich auch sein Grab befindet. „Munîr“ ist der Name eines der Dörfer der Stadt Bihar. Schâh Abdulhaqq ad-Dahlawî, möge Allah mit ihm barmherzig sein, berichtet ausführlich über sein Leben in seinem Buch „Akhbâru‘l- Akhyâr“, „Anekdoten der Besten“. Dieses Buch ist auf Persisch geschrieben und wurde 1332 n. H. [1914 n. Chr.] in Deoband in Indien und später in Lahore in Pakistan gedruckt. Die Bücher „Irschâdu‘s-Sâlikîn“, „Die Erziehung der Reisenden auf dem spirituellen Weg“, „Ma‘dani‘l-Ma‘ânî“, „Die Miene der Bedeutungen“, und die „Maktûbât“, „Briefe“, stellen sehr wertvolle Bücher dar.
[Imâm Rabbânî, möge Allah mit ihm barmherzig sein, sagt in verschiedenen Briefen: „Die Sachen, die Allah, der Erhabene, befohlen hat, werden ‚Farâid‘, ‚Verpflichtungen‘, genannt. Die Sachen, die Er verboten hat, werden ‚Mahârim‘, ‚Verbotenes‘, genannt. Sachen, die weder Verpflichtungen noch Verbotenes, sondern freigestellt sind, werden ‚Mubâh‘, ‚Erlaubtes‘, genannt. Die Anstrengung, die Verpflichtungen zu erfüllen, von den Verboten Abstand zu nehmen und das Erlaubte um Allahs willen zu tun wird ‚Ibâda‘ ‚Anbetung‘, genannt. Damit die Anbetung korrekt und akzeptabel ist, d. h. damit sie richtig durchgeführt wird und damit sie Allah, dem Erhabenen, gefällt, muss sie mit Wissen, d. h. durch Erlernen der korrekten Durchführung, dann mit Tat, d. h. durch Verrichtung, entsprechend den Bedingungen, und schließlich mit Aufrichtigkeit verrichtet werden. Ikhlâs, Aufrichtigkeit, bedeutet, dass man die Anbetung verrichtet, weil Allah, der Erhabene, diese befohlen hat, und nicht um Gold, Amt, Ruhm oder ähnliche weltliche Interessen zu erlangen, sondern um Allahs Zufriedenheit, d. h. Seine Liebe, zu erlangen. Wissen erlangt man, indem man mit einem Lehrer Bücher über die Rechtswissenschaft studiert, und die Aufrichtigkeit lernt man durch die Worte, Zustände und Taten eines der Awliyâ, eines der Freunde Allahs, und indem man Bücher über den Tasawwuf liest. Das Wissen wird im Islam in zwei Bereiche eingeteilt: die Religionswissenschaften und die Naturwissenschaften. Diese müssen in dem Maße erlernt werden, in dem sie für eine Person notwendig werden. So ist es z. B. Verpflichtend, dass man weiß, wie eine Medizin anzuwenden ist, oder dass der, der mit elektrischem Licht oder elektrischen Maschinen arbeitet, sich kurz grundsätzliches Wissen über die Elektrizität aneignet. Wenn man das nicht tut, könnte dies sogar den Tod herbeiführen.
Ein Muslim, der zwar an die Farâid und die Mahârim, die Verpflichtungen und die Verbote, glaubt, jedoch faul ist oder durch schlechte Freunde beeinflusst die Anbetungen nicht verrichtet, dann ohne dafür Tauba zu machen, stirbt, wird in der Hölle brennen, bis seine Strafe für seine Sünden beendet ist. Wer die Farâid nicht lernt oder selbst, wenn er sie kennt, sie dennoch gering schätzt, sie nicht wichtig nimmt, sie unbekümmert und ohne Furcht vor Allah, dem Erhabenen, unterlässt, der verlässt den Islam und wird ein Ungläubiger. Er brennt dann ewig in der Hölle. Auch die Strafe für das Verrichten der Mahârim, der verbotenen Sachen, ist das Brennen in der Hölle.
Die Anbetungen von jemandem, der das Wissen über sie nicht erlernt, die Bedingungen der Gültigkeit der Anbetungen nicht kennt, sind nicht gültig, selbst wenn sie mit Ikhlâs, Aufrichtigkeit, durchgeführt werden. Er wird in der Hölle brennen, als hätte er sie gar nicht verrichtet. Wer die Bedingungen der Gültigkeit kennt und diese beim Verrichten der Anbetungen beachtet, dessen Anbetungen sind gültig. Er wird vor der Strafe in der Hölle sicher sein. Doch wenn er seine Anbetungen oder seine guten Werke nicht mit Aufrichtigkeit verrichtet, werden diese alle nicht (von Allah, dem Erhabenen) angenommen. Er bekommt keine Belohnung dafür. Allah, der Erhabene, hat verkündet, dass Ihm solche Anbetungen und solche guten Werke und Taten nicht gefallen. Die Anbetung, die ohne Wissen und Aufrichtigkeit verrichtet wird, hat keinen Nutzen. Sie bewahrt den Menschen nicht vor Unglauben und Sünden und auch nicht vor der Bestrafung. Man hat so oft beobachten können, wie Heuchler, die ihr ganzes Leben lang auf diese Weise Anbetungen verrichten, dann doch im Zustand des Unglaubens sterben. Die Anbetung, die mit Wissen und Aufrichtigkeit verrichtet wird, bewahrt den Menschen in der diesseitigen Welt vor dem Unglauben und den Sünden und verleiht ihm Würde. Dass Er solche Menschen vor der Strafe der Hölle erretten wird, verspricht Allah, der Erhabene, in der 9. Âya der Sûre al-Mâida, ‚Der Tisch‘, und in der Sûre al-Asr, ,Die Zeit’. Allah, der Erhabene, ist Seinem Wort treu. Was Er verspricht, das erfüllt Er auch.“]
Die Wahrheit rächt sich durch die Hand des Dieners,
doch wer dies nicht durch das göttliche Wissen
(Ilmu’l-Ladunnî) versteht, glaubt der Diener handle.
Alles Seiende gehört dem Schöpfer
und wird durch die Hand des Dieners verfügt,
doch wenn der Schöpfer nicht den Befehl gibt,
regt sich nicht einmal ein Grashalm.