1122 n.Hed. (1710 n.Chr.) beauftragte mich der Kolonialminister damit, erforderliche und genügende Auskunft zur Auflösung der islamischen Welt in Ägypten, Irak, Hedschas (Mekka, Medina) und Istanbul einzuholen. Hierfür beauftragte er ausser mir zugleich auch noch neun Personen, die lebhaft und mutig waren. Dabei wurden uns unter anderem genug Geld, eine Landkarte und nötige Informationen, auch eine Liste der Staatsmänner, der Gelehrten und der Führer der Stammvölker ausgehändigt. Es ist für mich gar nicht zu vergessen, wie der Ministerialsekretär uns beim Abschied anredete: “Die Zukunft unseres Staates hängt von eurem Erfolg ab. Deshalb müßt ihr euch mit aller Kraft darum bemühen!”
Ich machte mich auf den Weg nach Istanbul, dem Kalifatszentrum des Islams. Neben meiner eigentlichen Mission musste ich auch die osmanische Sprache sehr gut beherrschen. Ich hatte schon in London türkisch, arabisch, die Sprache des Korans, und persisch gelernt.
Ich machte mir gar keine Sorge dafür, ob die Muslime mich in Verdacht zogen. Denn die Muslime sind nachsichtig und aufrichtig und haben ein reines Herz, wie sie es von ihrem Propheten Muhammed erfahren haben. Sie sind nicht so skeptisch wie wir. Außerdem hatte die osmanische Regierung damals keinen wirksamen Geheimdienst zur Verfolgung der Spionen.
Nach einer anstrengenden Seefahrt traf ich in Istanbul ein. Ich stellte mich den Leuten als Muhammed aus Nedschd vor und ging wie die anderen Muslime in die Moschee. Es gefiel mir sehr, dass die Muslime diszipliniert, sauber und gehorsam waren. Einmal fiel mir folgendes ein: “Warum kämpfen wir gegen diese unschuldigen Menschen? Hatte uns unser Herr, Messias dies empfohlen?” Aber ich jagte sofort diesen satanischen Gedanken aus meinem Kopf und entschloss mich fest, meinen Auftrag am besten auszuführen.
In Istanbul machte ich mich mit einem alten Gelehrten, namens Ahmed Effendi bekannt.
Ich bewunderte die Vornehmheit, Liebenswürdigkeit, das reine Herz und die Hilfsbereitschaft dieses Gelehrten. Diese Eigenschaften waren bei unseren Geistlichen nicht anzutreffen. Er bemühte sich Tag und Nacht darum, so zu leben wie der Prophet Muhammed. Nach seinem Glauben war der vollkommene und beste Mensch Muhammed, der Prophet. Immer wenn er von Ihm sprach, kamen ihm Tränen in die Augen. Ich hatte also großes Glück, denn er fragte mich nicht einmal danach, wer ich war und woher ich kam. Er sprach mich mit dem Beinamen “Muhammed Effendi” an. All meine Fragen beantwortete er, benahm sich zu mir gütig und mitleidig. Denn er sah mich als einen Gast an, der sich mit dem Zweck in Istanbul aufhielt, in der Türkei zu arbeiten und im Schatten des Kalifen des Propheten Muhammed zu leben. Eigentlich legte ich auch überall das als Vorwand vor, um in Istanbul bleiben zu können.
Eines Tages sagte ich Ahmed Effendi: “Mein Vater und meine Mutter sind schon tot. Sie hinterließen mir nichts. Ich kam nach Istanbul, um mein Brot zu verdienen, den heiligen Koran und die Kenntnisse über den Islam zu lernen, mit anderen Worten; sowohl mein irdisches Leben ohne finanzielle Schwierigkeiten zu führen, als auch mir ein gutes jenseitiges Leben vorzubereiten. Diese Worte von mir machten ihm Freude und er sagte darauf: “Aus drei folgenden Gründen sollte man vor dir Respekt haben.” All seine Worte darüber gebe ich unten genau an:
1. Du bist ein Muslim. Alle Muslime sind Brüder.
2. Du bist ein Gast. Unser heiliger Prophet Muhammed sagte sinngemäß aus: “Bedient eure Gäste.”
3. Du willst arbeiten und verdienen. Darüber gibt es eine heilige Hadith (Spruch vom Propheten Muhammed): “Wer arbeitet, ist Freund ALLAHs, des Erhabenen.”
Mit diesen Worten von ihm war ich sehr zufrieden. Ich überlegte mir wie folgt: “Wenn es doch auch im Christentum solch prächtige und herrliche Prinzipien gäbe! Schade, dass es keine von denen in unserer Religion gibt. Was mich noch in Erstaunen setzte war, dass die islamische Religion trotz ihrer Erhabenheit, in der Hand jener hochmütigen und antisozialen Menschen immer schwächer wurde und niederging.”
An Ahmed Effendi wandte ich mich mit der Bitte: “Ich will den Koran lernen.” Daraufhin sagte er: “Ja gerne, ich lehre dich den Koran lesen.”Und er begann seinen Unterricht mit der Sure “Fatiha”. Nach dem Lesen erklärte er auch manche Sätze. Manche Wörter auszusprechen fiel mir sehr schwer. In zwei Jahren hatte ich den ganzen Koran rezitiert. Jedesmal wenn er den Koran rezitierte, nahm er zuerst die rituelle Waschung vor und ließ auch mich dies tun. Er wandte sich zuerst zur Kıble (Richtung nach Ka’aba) und ließ mich dann rezitieren.
Was die Muslime, als rituelle Waschung bezeichnen, heißt, manche Organe prinzipiell in einer Reihenfolge zu waschen. Das geschieht der folgenden Reihe nach:
1. das Gesicht,
2. den rechten Arm von den Fingern bis zum Ellenbogen,
3. den linken Arm von den Fingern bis zum Ellenbogen,
4. den Kopf, die Ohren und den Hals (diese werden nicht gewaschen, sondern nur mit nassen Händen berührt),
5. die Füße.
Miswak zu benutzen störte mich anfangs ziemlich. Miswak ist eine Art Zahnbürste aus dem Ast des Zahnbürstenbaumes, mit dem man nach dem Essen und vor der rituellen Waschung die Zähne putzt. Am Anfang glaubte ich, dass Miswak für den Mund und die Zähne schädlich wäre. Ab und zu ließ es auch mein Zahnfleisch bluten.
Doch ich sollte es weiter benutzen. Denn nach ihrem Glauben war es eine erforderliche Handlung des Propheten. Außerdem berichteten sie von dem großem Nutzen dieses Baumes. Tatsächlich hörte dadurch die Blutung meines Zahnfleisches auf. Der schlechte Mundgeruch, den die meisten haben, war bei mir auch verschwunden.
Solange ich in Istanbul war, wohnte ich bei einem Moscheediener gegen ein bisschen Geld. Er hieß Merwan Effendi. Merwan ist eigentlich der Name eines der Gefährten des Propheten Muhammed. Dieser Diener war sehr nervös. Er rühmte sich seines Namens immer und ermahnte mich so: “Wenn du in Zukunft einen Sohn hast, so empfehle ich dir, ihm den Namen “Merwan” zu geben. Denn Merwan ist ein Name, den einer der großen Glaubenskämpfer des Islams trug.”
Mein Abendessen bereitete mir immer Merwan Effendi vor. An jedem Freitag, dem Feiertag der Muslime ging ich nicht zur Arbeit. Ich arbeitete bei einem Tischler namens Hâlid gegen Wochenlohn. Weil ich nur halbtags arbeitete, gab er mir die Hälfte dessen, was er seinen Arbeitern als Arbeitslohn bezahlte. Der Tischler erzählte mir in den freien Zeiten oft von denTugenden von Hâlid bin Welîd. Hâlid bin Welîd war einer der Gefährten des Propheten Muhammed und gleichzeitig ein großer Glaubenskämpfer. Er eroberte viele Länder für den Islam. Jedoch tat es meinem Arbeitgeber Halid leid, dass Omar bin Hattab ihn aus dem Amt des Befehlhabers entließ[Nachdem auch Ubejde bin Dscherrach, der an die Stelle von Hâlid bin Welîd ernannt worden, weitere Siege errungen hatte, stelle es sich heraus, dass der Sieg nicht allein von Hâlid abhänging war, sondern von der Hilfe ALLAHs, des Erhabenen.].
Halid, der Tischler, bei dem ich arbeitete, hatte keinen guten Charakter und war ziemlich nervös. Trotzdem verließ er sich ganz auf mich. Der Grund dafür war vielleicht, dass ich all seine Worte beachtete. Wenn er allein war, vernachlässigte er die islamischen Vorschriften. Wenn er aber bei seinen Freunden war, folgte er den islamischen Geboten. Er verrichtete nur das Freitagsgebet. Ob er das fünfmalige Gebet jeden Tag verrichtete, war mir unbekannt.
Ich früchstückte immer in der Werkstatt. Nach der Arbeit ging ich zum Mittagsgebet zur Moschee, blieb dort bis zur Verrichtung des Nachtmittagsgebets. Danach ging ich nach dem Haus von Ahmed Effendi. Dort verbrachte ich zwei Stunden, wobei ich bei ihm den Koran, arabisch und türkisch lernte. Meinen Wochenlohn gab ich ihm jeden Freitag, weil er mir das Lesen des Korans sehr gut beibrachte. Wirklich lehrte er mich den Koran, die Vorschiften des Islams und die Einzelheiten der arabischen und türkischen Sprachen sehr gut.
Als Ahmed Effendi bekannt wurde, dass ich ledig war, schlug er mir vor, seine Tochter zu heiraten. Aber ich lehnte seinen Vorschlag ab. Trotzdem beharrte er ständig darauf und sagte, Trauung sei eine erforderliche Tradition des Propheten Muhammed und überlieferte seinen Spruch: “Wer sich von den erforderlichen Verpflichtungen abwendet, gehört nicht zu meiner Gemeinschaft an.”
Ich bemerkte, dass diese Sache meine Beziehungen mit ihm abbrechen könnte, und sagte ihm angeblich: “Sexuelle Vitalität fehlt mir leider!” Dieses Wort verschaffte mir die Fortsetzung unserer Freundschaft.
Nachdem meine zwei Jahre in Istanbul abgelaufen waren, sagte ich Ahmed Effendi, dass ich in meine Heimat zurückkehren möchte. Er reagierte auf mich: “Gehe doch nicht! Warum? Du hast alles, was du willst, in Istanbul. ALLAH, der Erhabene, gab dieser Stadt sowohl materielles als auch geistiges Vermögen. Du hattest ja gesagt, dass deine Eltern gestorben sind und du keine Geschwister hast. Demnach ist es besser für dich, dich in Istanbul niederzulassen.”
Er hatte sich sehr an mich gewöhnt. Deswegen beharrte er darauf, dass ich nicht fortgehen, sondern mich in Istanbul niederlassen sollte. Jedoch zwang mich meine patriotische Aufgabe zur Rückkehr nach London, wo ich dem Kolonialministerium einen eingehenden Bericht dargelegen und neue Anordnungen bekommen mußte.
Solange ich in Istanbul war, schickte ich jeden Monat einen Bericht, der sich auf die von mir beobachteten Vorgänge bezog, dem Kolonialministerium nach England. In einem Bericht fragte ich einmal, was ich einem eventuellen homosexuellen Vorschlag gegenüber tun sollte. Die Antwort lautete: “Du darfst dich da ergeben, wo es dir erleichtert, zum Ziel zu kommen.” Als ich diese Antwort bekam, ärgerte ich mich sehr. Beinahe hätte ich das Bewusstsein verloren. Zwar wusste ich schon, dass diese ekelhafte Tat in England verbreitet war. Aber ich erwartete nicht, dass unsere Behörden einen solchen Befehl geben würden. Ich hatte leider keinen anderen Ausweg, als das Glas bis zum letzten Tropfen auszutrinken. Deswegen schwieg ich und leistete meinen Dienst weiter.
Während ich mich von Ahmed Effendi verabschiedete, kamen ihm Tränen in die Augen und er sagte zu mir: “Mein Sohn, ALLAH, der Erhabene, möge dir helfen. Wenn du wieder nach Istanbul kommst und meinen Tod erfährst, errinnere dich an mich und rezitiere einmal “Fatiha” zu meinem Seelenheil. Wir werden am Tage der Auferstehung mit dem Propheten ALLAHs, des Erhabenen, zusammenkommen.” Da wurde ich auch sehr traurig und weinte mit. Doch meine Verpflichtung war über alles.